«Wir müssen noch stärker sensibilisieren»
Gregor Notter ist eine Koryphäe in Sachen Energievollzug. In den letzten 17 Jahren führte er zentralschweizweit rund 2500 Minergie-Zertifizierungen durch. Demnächst geht er in Pension. Wir blicken mit ihm zurück.
von Daniel Schwab
Gregor Notter vom Institut für Gebäudetechnik und Energie (IGE) der Hochschule Luzern. (Bild apimedia)
Gregor Notter, wie muss man sich eine Minergie-Zertifizierung vorstellen?
Nach der Einreichung des Minergie-Antrags werden die Unterlagen auf Vollständigkeit und die Berechnungen auf deren Richtigkeit überprüft. Sofern alle Berechnungen korrekt sind, wird das provisorische Zertifikat ausgestellt, andernfalls Nachbesserungen verlangt. Nach der Umsetzung des Objekts müssen die «Baubestätigung» und weitere Unterlagen abgegeben werden. Ist alles in Ordnung, kann die definitive Zertifizierung erfolgen. Zudem sind wir verpflichtet, 20 Prozent der zertifizierten Objekte einer Stichprobe zu unterziehen. Stellen wir Unstimmigkeiten fest, so muss nachgebessert werden. Ist bei der Stichprobe ersichtlich, dass die Grenzwerte nicht eingehalten werden können, so wird das definitive Zertifikat nicht ausgestellt respektive im Nachhinein entzogen.
Das tönt recht aufwändig.
Ist es manchmal auch. Die angestrebte Energiewende – insbesondere das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Null zu reduzieren – hatte zur Folge, dass die Vorschriften betreffend Wärmedämmung und weiterer Anforderungen in den letzten Jahren strenger geworden sind. Von Bauherren und Planern wird immer mehr verlangt. Man muss mehr isolieren und die Dämmung wird technisch anspruchsvoller. Diese Vorschriften sind in den sogenannten «MuKEn 2014», den Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich, festgelegt. Ich durfte für die Zentralschweizer Kantone die entsprechenden Schulungen für Prüfingenieure und Planer durchführen. Und im Auftrag aller Schweizer Kantone wirkte ich auch bei der Erarbeitung der Schulungsunterlagen an vorderster Front mit.
Was hat sich bei den Prüfungen resp. Zertifizierungen sonst noch verändert?
Parallel zu den Anforderungen ist auch der administrative Aufwand für die Prüfer deutlich gestiegen. Zudem wird der Bereich Beratung immer wichtiger. Bei fast jedem grösseren Bauvorhaben findet zunächst eine Vorbesprechung statt. Das heisst: Wir schauen mit dem Bauherrn oder mit den Planenden an, was es bei der Projekteingabe in Bezug auf Wärmedämmung und Energieeffizienz zu beachten gilt. So wissen sie, wie die Anforderungen lauten. Und wir kennen ihr Vorhaben und können entsprechende Tipps geben.
Wo muss in Ihren Augen der Hebel angesetzt werden, damit wir die Energiewende schaffen?
Der Wille, die Energieeffizienz zu erhöhen, ist heute leider stark von finanziellen Anreizen abhängig. Es wird erst etwas unternommen, wenn man entweder Fördergelder oder steuerliche Vorteile bekommt. Ziel muss es darum sein, noch stärker zu sensibilisieren. Das beginnt bereits ganz unten. Die Menschen müssen verstehen, dass die wachsende Zahl an extremen Wetterereignissen – sprich starker Hagel, heftiger Regen, grosse Hitze – direkt mit dem Klimawandel im Zusammenhang steht.
Was gefällt Ihnen an Ihrem Berufsalltag am meisten?
Die mehrheitlich sehr partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Bauherrschaften und Planenden. Wenn es irgendwo Schwierigkeiten gibt, sucht man nach einer Kompromisslösung – und findet sie in den meisten Fällen auch. Was ich ebenfalls genossen habe: Da ich in den letzten Jahren schweizweit zur Ansprechperson für die Messung der Luftdichtheit bei Minergie-P- und Minergie-A-Bauten geworden bin, durfte ich auch an internationalen Symposien teilnehmen und sogar Referate halten.
Vor kurzem feierten Sie Ihren 65. Geburtstag. Das heisst: Ab November könnten Sie Ihre wohl verdiente Pension geniessen.
Ja, das könnte ich. Ich werde aber noch bis Ende Jahr zu 50 Prozent an der HSLU weiterarbeiten, danach auf Mandatsbasis einzelne Projekte betreuen. Zusätzlich habe ich meinem früheren Chef, der ein Bauphysik-Unternehmen führt, zugesagt, ihn in einem kleinen Pensum zu unterstützen. Solche Büros laufen zurzeit fast alle am Anschlag. Kurz gesagt: Ich arbeite einfach noch zu gerne, als dass ich von heute auf morgen komplett abschalten könnte.